Ein – dem Objekt geschuldeter – recht ausführlicher und vielleicht ein wenig polarisierender Essay von Kiang.
Erläuterung: Der besseren Lesbarkeit wegen, wird im Nachfolgenden bei Personen- und Berufsbezeichnungen die maskuline Form verwendet, ohne dass damit irgendeine Gender- Diskriminierung beabsichtigt wäre.
§ 1 Abs. 3 des BJG (Bundesjagdgesetz) lautet: Bei der Ausübung der Jagd sind die allgemein anerkannten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit zu beachten (Fettdruck vom Verfasser), wobei die Grundsätze keineswegs grundsätzlich sind, wie nachstehend erläutert werden soll.
Erhebt sich zunächst eine entscheidende Frage: Bezieht sich der etwas vage Begriff „deutsche Weidgerechtigkeit“ nur auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, also das Gebiet, in dem das BJG
Geltung besitzt , oder – wegen verwandter Mentalität – auf deutschsprachige Regionen innerhalb Europas, also auf Österreich, Teile Südtirols, Liechtenstein, Luxemburg sowie die Region
Eupen-Malmedy in Belgien?
Verfasser nimmt an, dass „deutsche Weidgerechtigkeit“ nur im Geltungsbereich des GG (Grundgesetz) wirksam ist, gelebt werden kann.
Man sollte annehmen, dass ein Begriff, der bereits im ersten Paragraphen des BJG mit „die allgemein anerkannten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit“ hervorgehoben wird, über eine juristische
Präzision und verbindliche Definition verfügte. Weit gefehlt, selbst der Ton angebende DJV (heute Deutscher Jagdverband, ehedem Deutscher Jagdschutzverband) benötigt viele Seiten
bedruckten Papiers, um eine juristisch einwandfreie Definition der Weidgerechtigkeit, zumal der deutschen, zu umschiffen.
Man beruft sich auf Traditionen, die spätestens mit der unvollendeten Revolution von 1848/49 obsolet wurden. Denn, um nur ein Beispiel zu nennen, dem weidgerechten Jäger aus absolutistischen
Zeiten oblag es, dem auf der Parforce-Jagd von Hunden fast zu Tode gehetzten und schließlich gestellten Hirsch mit der Klinge den Fersensehnenstrang („Achillessehne“) zu durchtrennen, um das so
an den Platz gebannte Tier mit der blanken Waffe weidgerecht und recht gefahrlos abzufangen, sprich zu töten – Halali!
In den folgenden Jahrzehnten (nach 1848/49) entwickelten sich – bürgerlich-adelig geprägt – eine Form oder Formen von Weidgerechtigkeit, wobei eine scharfe Trennung zwischen Weidgerechtigkeit und häufig regional geprägtem Brauchtum nicht vorgenommen wurde, Begriffsbestimmungen meist vage blieben. Mit dem Inkrafttreten des Reichsjagdgesetzes (RJG) wurde zwar die Weidgerechtigkeit zur Maxime erhoben, eben zur deutschen Weidgerechtigkeit geadelt, denn Personen, die einen einwandfreien „Ariernachweis“ nicht erbringen konnten, wurde die Ausübung der Jagd verboten. Ob der von ihm nicht zu erbringende „Ariernachweis“ Hitlers Abneigung der Jagd gegenüber noch beförderte, sei dahingestellt.
Die allgemeine Fassung des zukünftigen RJG hatte Ulrich Scherping (Jahrgang 1889) bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik zu Papier gebracht, den juristischen Schliff erhielt dieser Entwurf nach der sog. Machtergreifung, sodass dieses zunächst als Preußisches Jagdgesetz (PJG) geltende Elaborat im Jahre 1934 als Reichsjagdgesetz (RJG) für das gesamte Deutsche Reich galt. Die ‚deutsche Weidgerechtigkeit‘ war durch Herrn Scherping bereits vor 1933 in den Gesetzentwurf eingearbeitet worden, ist also nicht auf dem Mist der NSDAP gewachsen. Dass Ulrich Scherping dem Nazi-Regime treue Dienste leistete, steht auf einem anderen Blatt…
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Man könnte die „Deutsche Weidgerechtigkeit“ (nachfolgend wird das Akronym DW benutzt) als einen großen Umhang bezeichnen, der die Masse der bundesdeutschen Jäger schützend umhüllt und unter dem sich so manches verbirgt oder verbergen lässt. Zumindest ist es erstaunlich, welch‘ Widersprüchliches sich unter DW subsummieren lässt.
Während der Begriff DW bereits in § 1 Abs. 3 des Bundesjagdgesetzes auftaucht, erscheint das Wort Tierschutz nur einmal und erst im vorletzten § des BJG. Dort heißt es unter § 44a
Unberührtheitsklausel:
„Vorschriften des Lebensmittelrechts, Seuchenrechts, Fleischhygienerechts und Tierschutzrechts bleiben unberührt.“
Seit über 50 Jahren die falschen Scheiben
Der Hüter der DW, der Deutsche Jagdverband, bietet in seinem Shop mindestens zwei Schießscheiben an, die Jäger eindeutig zu tierschutzwidrigem Handeln verleiten können: Auf der Rehbockscheibe und
auf der Scheibe „Flüchtiger Überläufer“ sind die „Bewertungsringe“ falsch angeordnet, entsprechen nicht den anatomischen Gegebenheiten. Bereits 1962/63 veröffentlichte Prof. Dr. Reinhold R.
Hofmann, exzellenter Anatom, Wildbiologe und Jäger, im „Hessischen Jäger“ den Vorschlag einer anatomisch korrekten Bockscheibe, die weiterhin im „JÄGER“ (1976), im „SPIEGEL“ (1987) und im
„Niedersächsischen Jäger“ (1991) abgedruckt wurde; auch in R. R. Hofmanns 2007 erschienen Werk „Wildtiere in Bildern zur vergleichenden Anatomie“ ist die anatomisch korrekte Bockscheibe veröffentlicht. Im selben Buch findet sich eine
Gegenüberstellung der offiziellen Schwarzwildscheibe (anatomisch völlig abwegig!) und der an der Anatomie des Schwarzwildes orientierten Darstellung der tödlichen Schusszonen. Bei der offiziellen
Scheibe „Flüchtiger Überläufer“ des DJV-Shops sind unsinnige Schusszonen aufgetragen. Fazit: Auf allen drei DJV-Scheiben werden Weidwund- und andere Schlumpschüsse (zu) hoch bewertet, verleiten
Jäger und angehende Jäger zum „Schuss mittendrauf“ beim Schwarzwild und bei Rehwild zu nicht sofort tödlichen Schüssen, die Nachsuchen erforderlich machen.
Der zweite Satz von § 1 Tierschutzgesetz lautet „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Dem werden wahrscheinlich die meisten Jäger zustimmen,
obwohl der „vernünftige Grund“ juristisch nicht immer einfach zu bestimmen ist.
In §4 Abs. 1 TierSchG heißt u. a.: Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen weidgerechter Ausübung der Jagd oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften zulässig oder erfolgt sie
im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen, so darf die Tötung nur vorgenommen werden, wenn hierbei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen. Ein Wirbeltier töten darf nur, wer
die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat.
Was „weidgerechte Ausübung der Jagd“ ist lässt § 4 Abs. 1 TierSchG offen. Und ob die Schießscheiben des DJV-Shops „die dazu
notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten“ vermitteln können, muss angezweifelt werden.
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Schizophrene DW
Die mosaischen Gebote, vulgo: Zehn Gebote, zeichnen sich durch einfache, klare An- und Aussage aus, wohingegen die DW alles Mögliche beinhaltet, ohne verbindliche Order zu geben; die Aussage ist unbestimmt, bisweilen reichlich schwiemelig. Eines ist auffällig: DW unterscheidet klar zwischen Herbivoren („Friedwild“) und Carnivoren (Raubtiere und Raubvögel, etwas milder als Beutegreifer und Greifvögel bezeichnet), zwischen den beiden Gruppen existieren noch Omnivore, wie Schwarzwild, Braunbär und Mensch (nicht jagdbar!). Und dann schuf der Mensch in seinem Diskriminierungswahn noch die Kategorien Raubzeug (Elster, Krähe, Eichelhäher etc.) und Schädlinge (Ratte, Maus, Kormoran etc.).
Die DW macht deutliche Unterschiede zwischen Herbivoren – vor allem dem Trophäen tragenden Schalenwild und den Flinten gerechten Niederwildarten – und den Carnivoren.
Bei den Herbivoren gelten vielfach unsinnige Spielregeln: Schonzeiten werden meist strikt eingehalten (prinzipiell lobenswert), Mutter-Kind-Schutz wird großgeschrieben, winterliche Fütterung wird
praktiziert, Bestände werden quantitativ in die Höhe getrieben dank mangelhaften Abschusses von Kahlwild und Jungwild der Kälber- und Jährlingsklasse. Vermehrter Verbiss und intensive Schäle sind
die Folge, Naturverjüngung findet sich allenfalls noch bei Fichte und Kiefer. Tanne und Edellaubhölzer haben höchstens noch hinter Zaun die Chance, zu Jungbäumen heranzuwachsen. Und da der Traum
der meisten DW-Jäger die kapitale Trophäe ist, besteht die Winterfütterung nicht nur aus Heu und Silage, auch Konzentratfutter ist durchaus wohlfeil.
Beim Rehwild, dessen Bestand – eigentlich könnte man von Besatz reden, da Rehwild offiziell Niederwild – in ungeahnte Höhen gestiegen ist, klappt das Tierzuchtprinzip weniger gut. Je höher die
Bestandsdichte, desto größer der soziale Stress, dies in Verbindung mit qualitativ verschlechteter Äsung führt zu verminderter Körpermasse und verminderter Knochenmasse der Geweihe.
Wehe dem Jäger, der auf die Idee käme, kräftig in den Bestand einzugreifen, dabei auch gefleckte Kitze schösse. Ihm würde die DW von höchster Stelle abgesprochen, Ehrengerichtsverfahren wäre das
Mindeste, was dem „Kitz-Mörder“ drohte (dazu unten mehr).
Beim übrigen herbivoren bzw. friedlichen Niederwild hat die DW ziemlich versagt, was allerdings auch einer verkorksten EU-Agrarpolitik geschuldet ist. Rebhühner sind zu Raritäten geworden, Hasenbesätze sind bundesweit zu niedrig, Raufußhühner stehen vorm Aussterben. Als Ersatz werden mit mehr oder weniger großem Erfolg Zuchtfasanen ausgesetzt, meist ein Gemisch verschiedener regionaler Subpopulationen; die Nominatform des Jagdfasans, Phasianus colchicus colchicus, Linné 1758, ist zur Rarität geworden. Die Mischzuchtfasane werden einige Wochen vor Beginn der Jagdsaison ausgesetzt, um dann zum Futter für die mehr oder minder wertvollen Flinten zu werden, hoffentlich tödlich von bleifreien Schroten getroffen. Ließen absolutistische Fürsten einst riesige Mengen von Schalenwild zum lustvollen Massakrieren zusammentreiben, so begnügt sich die heutige, der DW verpflichtete Jägerschaft mit dem Abschuss künstlich aufgezogener Fasanen. Moralischer Fortschritt? Immerhin, heute werden keine Jungfasanen mehr ausgesetzt, denen die Oberschnäbel „chirurgisch“ gekürzt wurde. Das Aussetzen von künstlich erbrüteten Stockenten und sog. Hochbrutflugenten inklusive reichlicher Fütterung ist weiterhin statthaft: Die „Balleromanie“ der Flintenschützen will befriedigt werden. Diese wird auch beim „crow busting“ gestillt, wobei die Schützen offenbaren, dass sie vom Sozialgefüge und -verhalten der Art Rabenkrähe nichts verstehen (wollen). Wenn dies – Schießen von Kunstbrutfasanen und -enten sowie Abknallen von Rabenkrähen – mit der DW in Einklang steht, dann fragt man sich, ob DW nicht eher ein Popanz, denn eine moralische und ethische Richtschnur ist, wie von Jägerseite gerne kolportiert.
Und die Jagd auf Gänse? Besserer Irrsinn, denn vor allem durch Schüsse vergrämte Gänse müssen weit größere Strecken fliegend zurücklegen, was viel Energie kostet, die sie durch verstärktes Äsen der Wintersaat inklusive des unseligen Rapses zurückgewinnen müssen. Durch Ballerei lassen sich durchaus vorhandene Gänseprobleme nicht lösen; dazu bedarf es des Einsatzes menschlichen Hirns.
Überhaupt, die viel zu langen Jagdzeiten – bei Rotwild bis zu neun Monate im Jagdjahr – und die permanente Unruhe im Revier durch störende Jägerpräsenz sind eine subtile Form der Tierquälerei, hält das Wild im Dauerstress; nur eine Sonderform der DW? Wild wird durch im Revier lebende Wölfe weit weniger irritiert und gestört als durch mit Allradfahrzeugen in jeder Ecke des Reviers auftauchende Jäger. Wölfe sind für Schalenwild einfach berechenbarer als Menschen, vor allem Jäger.
Was nun DW und Nachstellung von Carnivoren betrifft, so zieht die DW völlig andere Saiten auf als bei den Herbivoren: Stellt sich zunächst die Frage, warum Mauswiesel und Fischotter im BJG
überhaupt noch als jagdbare Arten aufgeführt sind? Die Mär, dass das Mauswiesel dem erwachsen Hasen ans Leben geht, können nur diejenigen erzählen, die auch an die Existenz von Rasselböcken und
Wolpertingern glauben. Unter heutigen Gegebenheiten ist es unwahrscheinlich, dass der Fischotter jemals wieder Besatzzahlen erreicht, die eine verantwortungsvolle Bejagung zuließen. Der
Straßenverkehr in Ottergebieten sorgt leider effektiv dafür, dass die Otterpopulation allenfalls auf niedrigem Niveau sich einpendelt. Und wenn der Otter künstlich aufgezogene, also naive Fische
dezimieren sollte, ist das kein ökologisches Problem, sondern ein Beweis mangelnden ökologischen Wissens bei vielen sog. Sportfischern.
Auch der Waldiltis, eine vor wenigen Jahrzehnten ordinäre Marderart gehört inzwischen zur Kategorie ‚Rarität‘. Die verbliebenen Marderarten werden weiterhin verfolgt, wobei der Steinmarder als
Kulturfolger im Stadt- und Siedlungsbereich weniger Jagddruck ausgesetzt ist als die Vetternart Baummarder und das Große Wiesel/Hermelin. Dass Baujagd auf Dachs (und auch Fuchs)
tierschutzrelevant ist, müsste selbst Jägern einleuchten. Kaum vorstellbar, dass Jäger es amüsant fänden, wenn Dieb oder Mörder in ihren Intimbereich, das Schlafzimmer, ungebeten eindrängen.
Das personifizierte Böse!
Kein Beutegreifer wird so intensiv und vielgestaltig verfolgt wie der Fuchs. Und dies, obwohl die bevorzugte Beute des Fuchses Wühlmäuse verschiedener Spezies ist, je nach Region bis zu 90%. Für
viele Jäger ist der Fuchs die Verkörperung des Bösen schlechthin. Sicherlich kann der Fuchs Niederwildbesätze dezimieren, wobei zu bedenken ist, dass der Niedergang von Rebhuhn und Hase nicht
ihm, sondern moderner Landwirtschaft mit schwachsinnig enger Fruchtfolge, ausgeräumten Fluren und teilweise riesigen Schlägen geschuldet ist. Energie-Mais-Schläge, abreifende Rapsschläge mit
Barrierefunktion und Getreideäcker mit übertrieben dichter Saatkorn-Ablage bieten dem Hasen wenig, dem Rebhuhn gar kein zusagendes Biotop, sind letztlich Agrarwüsten. Und wenn der Fuchs einen
dieser ausgesetzten Kunstbrutfasanen greift, was soll’s? Spätestens im Herbst fielen diese halb Verwilderten den Flinten zum Opfer, es sei denn, es wären Hennen. Diese werden gemäß DW
geschont.
Nicht nur beim Fuchs, auch bei anderen Säugern bewirkt starker Verfolgungsdruck höhere Reproduktion, d. h. die Größe der Würfe steigt oder die Zahl der Würfe; beim Fuchs als monoöstrischem
Reproduzenten (1 Wurf/Jahr) eben die Wurfgröße. Das Bestreben vieler Revierinhaber ihren Jagdbezirk möglichst fuchsfrei zu bekommen, setzt einen fast unvermeidbaren Circulus vitiosus in Gang: Da
die Jungfüchse mit etwa drei bis vier Monaten selbständig werden und abwandern (müssen), wird der weidgerecht jagende Pächter oder Besitzer zunächst versuchen, die reviertreuen Elterntiere (Fähe
und Rüde), beide nunmehr vogelfrei, zu eliminieren. Kaum sind die erwachsenen Füchse ausgeschaltet, findet sich genügend Revier suchender Nachwuchs ein, dem im Sinne der DW nachgestellt werden
muss. Dieses Spiel kann weitergehen bis zum Ende der Ranzzeit, da danach für die Fähe der Mutterschutz greift, zumindest greifen sollte. Fuchsrüden können weiterhin geschossen werden; ist unter
ihnen zufällig eine säugende Fähe – Pech für diese und die Welpen, die ggf. Hungers krepieren.
Scharf formuliert: Verfolge den Fuchs gemäß DW, steter Zuzug Revier suchender Jungfüchse ist garantiert, eine mögliche Stabilisierung durch reviertreue Altfüchse wird nachhaltig verhindert!
Zum gegenwärtig größten Beutegreifer, dem Wolf, nur wenige Anmerkungen: Die Bezeichnung „Grauhund“, von vielen Jagdscheininhabern gebetsmühlenartig benutzt, zeugt von simplem Gemüt ebenso wie das Synonym Isegrim, das semantisch mit Wolf nichts zu tun hat. Kein europäischer Beutegreifer polarisiert derart wie der Wolf. Bei ‚Wolf‘ flippen Personen, denen man solches eigentlich gar nicht zutraute, geradezu aus. Eigentlich dürfte die Öffentlichkeit erwarten, dass bei Personen, denen der Erwerb und die Nutzung von Faust- und Handfeuerwaffen per Gesetz erlaubt ist, Ratio, nicht Emotion das Denken und Handeln bestimmt. Nach vorübergehender Scheintoleranz diesem größtem Caniden gegenüber, würde die Mehrheit der Jäger – so der Eindruck – den Wolf gern als jagdbare Wildart im BJG verankert sehen, zunächst vielleicht mit ganzjähriger Schonzeit, aber dann… Zumindest ist zweifelhaft, ob es der Art Wolf zuträglich wäre, wenn sie nur dem Jagdrecht unterstellt würde. Die Erfahrung lehrt, dass die Jägerschaft, obwohl sie Jagd als angewandten Naturschutz auf vielen Seiten geduldigen Papiers propagiert, bisher keine ernsthaft bedrohte Tierart vor der Ausrottung bewahrt hat. So hat z. B. der Europäische Bison, das Wisent, trotz der Jäger überlebt. Die eigentlichen Protagonisten waren überzeugte, teils fanatische Naturschützer und Zoologen! Und die Erhaltung von Uhu, Wanderfalke, einigen Greifvogelarten sowie vielen anderen Vogelarten ist nicht unbedingt Verdienst der Jagdlobby.
Aktuell (Meldung vom 16. Mai 2019): „Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) hält Jagd auf Wölfe für zulässig. Eine Ausnahmeregelung [gemäß Artikel 16 der FFH-Richtlinie] ist kein
Widerspruch zum strengen Schutz nach der FFH-Richtlinie.“(Zitat Ende, Text in eckiger Klammer v. Verfasser) Diese Nachricht sorgte für Freude beim noch amtierenden DJV-Präsidenten Hartwig
Fischer, der nunmehr wohl annimmt, dass der nur von Mitgliedern des DJV verfasste Managementplan Wolf (unter dem Schirm des Aktionsbündnisses Forum Natur, einem sehr heterogenen Konglomerat von
Naturnutzern) 1 zu 1 umgesetzt werden könnte. Nur, Wölfe als Analphabeten werden sich nicht an den nicht wirklich ausgereiften Managementplan halten (können) und wirkliche
Naturschutzverbände werden den teilweise arg steilen Thesen des Managementplans entgegenwirken und bessere Argumente liefern als der größte deutsche Jagdverband. Allerdings lässt der kürzlich
gefundene Kompromiss, ausgekungelt zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium, für den Wolf wenig Gutes erwarten. Den designierten Präsidenten des DJV, Dr. Volker Böhning, kann man auch
nicht gerade als Wolfs-Sympathisanten bezeichnen.
Ob nachfolgender Satz an dieser Stelle richtig platziert ist, sei dahingestellt, gefallen wird er der Jägerschaft wahrscheinlich nicht: Wie kann eine Gruppe von Amateuren (lat. amator =
Freund, Verehrer aber auch der sinnlichen Liebe ergeben; Liebhaber; Lüstling), die weniger als 0,5 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, derart nachhaltig auf das „politische Ökosystem
der Republik“ einwirken? Zugegeben, Lobby (zweisilbig) lässt sich schneller schreiben und besser anwenden als Demokratie (immerhin viersilbig).
Was ist nun DW eigentlich?
Die „Deutsche Weidgerechtigkeit“ sollte Maximen zur Jagd auf wildlebende Wirbeltiere – Vögel und Säugetiere – vorgeben; was Weidgerechtigkeit eigentlich ist, ist nirgends klar definiert. Im Gegensatz dazu ist beispielsweise die Straßenverkehrsordnung/StVO ein Werk (fast) brillanter Klarheit, der DW weit überlegen. Verstöße gegen das BJG sollten grundsätzlich vor ordentlichen Gerichten verhandelt und von diesen ggf. geahndet werden. Stattdessen werden die gar nicht so seltenen Verstöße und kriminellen Handlungen im Rahmen jagdlicher Tätigkeit vor jagdlichen Ehrengerichten ver- und behandelt, die sich der nebulösen Deutschen Weidgerechtigkeit verpflichtet fühlen. Lobby verhandelt über Lobbyisten, die über Lobbyisten im Nebel stochernd verhandeln. Da fast alle Jagdscheininhaber der allumfassenden Bruder- bzw. Schwesternschaft der gemäß DW handelnden Jägerschaft angehören, lt. § 1 Abs. 3 BJG angehören müssen, aber niemand präzise weiß, was DW eigentlich ist, können die meisten Schiedsgerichtverfahren ausgehen wie das Hornberger Schießen – viel Getöse und Pulverdampf und zum entscheidenden Schluss fehlt’s an Pulver!
Verfehlungen, die eigentlich anzeigepflichtig sind, werden noch am Jagdtag in kumpelhafter Manier ausgekungelt bzw. ausgeklüngelt.
Wenn der DJV, der mit Abstand größte Lobbyverband der Hobby-Jäger, endlich (er)klären könnte, was DW eigentlich ist, was deren Maximen sind, etliche der Ehrengerichtsbarkeitsverfahren würden in den Bereich ordentlicher Gerichtsverfahren gelangen, Delikte und kriminelle Handlungen würden als solche be- und verhandelt, das kumpelhafte „keine Krähe hackt der anderen das Auge aus“ wäre Vergangenheit. Aber, ob der DJV, in dessen Reihen durchaus fähige Juristen sich befinden, ob dieser DJV befähigt ist, der schemenhaften DW Kontur zur verleihen, muss gegenwärtig leider bezweifelt werden.
TierSchG und DW = Harmonie?
Das Tierschutzgesetz ist ein konkurrierendes Gesetz zum und ein höherwertigeres Gesetz als das BJG; der Schutz von Tieren besitzt Verfassungsrang, wie GG Artikel 20a ausweist: Der Staat
schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von
Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Da nun der Schutz der Tiere im GG (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland) verankert ist, stehen die Jäger
(Hobby- und Berufsjäger) in höchst anspruchsvoller Pflicht bei der Ausübung von Jagd: Möglichst störungsarm und stressfrei für das zu bejagende Wild, d. h. möglichst kurze und effektive
Jagdzeiten, um z. B. bis zu 9-monatigen Dauerstress (Rotwild) zu vermeiden. Noch weit bedeutsamer ist jedoch höchste Qualität bei der Schussabgabe. Das Wild sollte im Schuss liegen bzw.
zusammenbrechen. Dies setzt höchste Schießfertigkeit und Treffsicherheit der Schützen voraus, soll der Tod augenblicklich erfolgen.
Das von Riesenthalsche Gedicht „Das ist des Jägers Ehrenschild…“ zeichnet sich durch eingängige Reime aus und durch christliches Gedankengut, was dem Wild aber nur dann Qualen erspart, wenn der
Jäger ein todsicherer Schütze ist. Ein solcher wird man nur durch angeborene Fähigkeiten und durch kontinuierliches, diszipliniertes Übungsschießen, u. a. auf anatomisch korrekte Schießscheiben.
Die Anforderungen, ein wirklich guter Schütze zu sein, sind verdammt hoch, müssen es sein, um Wild tierschutzgerecht zu töten.
Die Frage, ob Schrotschüsse auf hochflüchtiges Niederwild die Kriterien des Tierschutzes erfüllen, muss letzlich verneint werden.
Da es einerseits keine 100%ig sofort tötenden Fallen gibt, andererseits in Kastenfallen gefangene Tiere Leiden ausgesetzt sind durch räumliche Enge und die Konfrontation mit dem sich in
Tötungsabsicht nähernden Menschen, ist es mehr als fraglich, ob die Fallenjagd überhaupt als Tierschutz- konform bezeichnet werden kann?
Wildtiere – von Rotwild und Wolf bis zu Feldhamster und Wühlmaus benötigen ausreichenden Lebensraum, um überleben zu können, was vermutlich auch Intension von DW sein dürfte. Umso mehr erstaunt eine Aussage des vielleicht bekanntesten Jungjägers der Bundesrepublik, des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner vom 15. Mai 2019 (sinngemäß): Das probateste Mittel gegen Mietpreissteigerung sei vermehrte Flächenfreigabe, um Bebauung voranzutreiben. Dabei vergisst (?) er, dass als Spekulationsobjekte hunderttausende leerstehende Wohnungen dem Markt entzogen werden. Man fragt sich, warum dieser Mann partout das „Grüne Abitur“ absolvieren wollte und musste. Was auch immer DW sein mag oder sein sollte, dieser Mensch wird sie nicht positiv beeinflussen (können)! Immerhin, auch andere Jagdscheininhaber profitieren von fortschreitendem Flächenverbrauch, also Existenzvernichtung für Wildtiere, letztlich auch für den Menschen.
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Übrigens und abschließend:
Wenn die Waldschäden, die – auch durch unter dem Mantel der DW miss geleitete – Hegemaßnahmen – als Verbiss und Schäle seit 1949 provoziert wurden, im Nachhinein durch die Absolventen des „Grünen
Abiturs“ beglichen werden müssten, diese Milliarden-Summen ließen gegenwärtige und zukünftige Fachminister sowie Waldbesitzer aller Art frohlocken.
Derjenigen Person, die in der Lage ist, das Phänomen Deutsche Weidgerechtigkeit auf maximal zwei DIN A4-Seiten eindeutig zu definieren und klar festzulegen, sollte der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland mit Schulterband und Stern verliehen werden. Gemach, gemach, diese Person wird so schnell nicht gefunden werden.
Bleibt zum absoluten Schluss festzuhalten: Deutsche Weidgerechtigkeit, ein bisher nicht Definiertes, ein höchst schwammiger Rechtsbegriff, wenn überhaupt… Bleibt die Frage, wie der konturlose Begriff „Deutsche Weidgerechtigkeit“ ins BJG gelangen konnte, sollten altbewährte Seilschaften wirkaktiv gewesen sein?
Dieser ein wenig lang geratene Essay beansprucht nicht, letzte Wahrheit zu verkünden. Verfasser bürgt jedoch, nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet zu haben. Allen Personen und Persönlichkeiten, die mit ihren Arbeiten und Reflexionen Stoff für diesen Beitrag geliefert haben, sage ich herzlichen Dank! Manche trugen unfreiwillig bei; auch ihnen danke ich, denn auch bizarre Ansichten können erhellend wirken.
Kiang, 25. Mai 2019, Vorabend der Wahl zum Europäischen Parlament
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