Sind 900 Luchse für Deutschland möglich?
Die Frage, ob eine Population von 900 Luchsen in Deutschland möglich wäre, wurde kürzlich in einer wissenschaftlichen Publikation erörtert. Dabei wurde dargelegt, dass eine solche Metapopulation auf Basis der derzeit verfügbaren Daten als realistisch betrachtet werden kann, sofern die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden.
In der Publikation findet sich die Einschätzung, dass der Thüringer Wald als Brückenraum zwischen der rezenten Population im Harz und der im Bayerischen Wald für diese Metapopulation geeignet sei. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass zumindest ein Projekt an dieser Überlegung selbstverständlich beteiligt ist!
Es ist schwierig, die biologischen Grundlagen zu verstehen oder nachzuvollziehen, die es rechtfertigen, mindestens zwei oder mehr Unterarten einer Kleinkatze, die eigentlich durch eine räumliche Distanz von mehreren tausend Kilometern voneinander getrennt sind, mit dem Ziel zusammenzuführen, eine bestimmte, autochthone, aber nicht mehr “existente” Population/Unterart wieder anzusiedeln.
Diese Überlegungen stehen im Widerspruch zu den Hypothesen der Subpopulationen und des eingeschränkten genetischen Austausches zwischen den betroffenen Unterarten.
Die Bildung neuer Teilpopulationen kann durch Neu- oder Wiederbesiedlung am gleichen oder an einem anderen Ort erfolgen. Nur eine Wiederbesiedlung durch Zuwanderung von Individuen aus benachbarten Populationen ist als Folge einer natürlichen Ausbreitung anzusehen.
Die Konfrontation der Unterarten aus Sibirien oder gar der Nominatform aus Skandinavien mit einer Waldluchspopulation ist als faunistische Verfälschung abzulehnen!
Es muss mit Bedauern festgestellt werden, dass sich die betreffende Situation bereits an zahlreichen Orten manifestiert hat. Es ist an der Zeit, dass Fachleute einsehen, dass die Integration der Harzer Luchse in eine reinerbige Waldluchspopulation aus genetischen, zoologischen und ökologischen Gründen nicht ratsam ist. Stattdessen sollte eine reine Waldluchspopulation ohne Harzer Luchse konsequent angestrebt werden.
Die Luchspopulation im Bayerischen Wald existiert seit den 1970er Jahren. Anfänglich war die Dokumentation der Einzelexemplare mit erheblichen Schwankungen verbunden.
Dieser Zustand hat sich insbesondere in den vergangenen 20 Jahren signifikant verbessert. Gleichzeitig ist jedoch eine Zunahme tödlicher Unfälle verunglückter, abwandernder Exemplare auf angrenzenden Straßen zu verzeichnen.
Diese Situation muss von weitsichtigen Zoologen mit ausreichender Artenkenntnis erkannt werden. Die natürliche Ausbreitung einer Wildtierpopulation ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies kann als massiver Hilferuf einer an den Lebensraum angepassten und bodenständigen Unterart interpretiert werden, auf den angemessen reagiert werden muss.
In der Praxis wird jedoch nicht adäquat reagiert. Stattdessen werden großzügig Visionen aus dem Computer versucht zu realisieren, die den artspezifischen Voraussetzungen einer Kleinkatze entrückt zu sein scheinen. Dieser Ansatz ist jedoch als falsch zu kritisieren.
Es besteht die Möglichkeit, dass die bayerische Population durch die Bereitstellung wertvoller Individuen einen Beitrag zur natürlichen Entwicklung angrenzender Bestände leisten kann!
Die Umsetzung der genannten Maßnahmen würde dazu beitragen, den Populationsdruck aus dem räumlich eingeschränkten Gebiet des Bayerischen Waldes zu reduzieren.
Der Autor vertritt die Einschätzung, dass die Zahl der tödlich endenden Versuche, neue Reviere zu erschließen, nachlassen könnte.
Es ist zu kritisieren, dass sich die Maßnahmen zur Arterhaltung in angrenzenden Waldgebieten lediglich auf die Regeneration auffälliger, teilweise zu schwacher oder ungeeigneter Jungtiere beschränken. Daher ist es erforderlich, die Entnahme von vitalen Exemplaren aus dem bayerischen Raum in maßvollem Umfang zu fördern bzw. zu ermöglichen. Es ist zusätzlich erforderlich, die Jägerschaft in erheblichem Umfang und deutlicher Mitverantwortung in die gesamte Umsetzung einzubeziehen.
Die unmittelbare räumliche Anbindung an den Böhmerwald stellt insbesondere für den Erhalt der bayerischen Population, die hinlänglich als Unterart beschrieben wurde, eine wesentliche Voraussetzung dar. Das Potenzial für eine natürliche Ausbreitung in westlicher Richtung ist gegeben, sodass der Bayerische Wald auf diese Möglichkeit vorbereitet sein muss.
In Deutschland grenzt der Thüringer Wald an den Oberpfälzer Wald, das Fichtelgebirge und den Frankenwald, wobei letzterer unmittelbar an den Thüringer Wald angrenzt. Es stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu geführt haben, dass sich im Thüringer Wald bislang keine eigenständige Population von einst bodenständigen Waldluchsen etablieren konnte, obwohl eine Besiedlung durch die Luchse aus dem Bayerischen Wald durchaus – wenn auch wohlwollend betrachtet – zeitlich und räumlich möglich gewesen wäre. Dies gilt gleichermaßen für die drei anderen unmittelbar angrenzenden Waldgebiete.
Das Alter der tödlich verunglückten Individuen aus dem Bayerischen Raum lässt häufig den Schluss zu, dass die Suche nach einem neuen Revier an oder auf den angrenzenden bayerischen Straßen endet. Auch hochträchtigen oder adulten Katzen wird die Querung des gut ausgebauten, dichten Straßennetzes, welches vorrangig für das Freizeitbedürfnis (NP) der Menschen unterhalten wird, zum Verhängnis.
Einzelbeobachtungen aus dem Thüringer Wald, die unter spektakulären Publikationen in der Presse transportiert werden, erscheinen anekdotisch. Die Exemplare sind der Harzer Population mehrheitlich zuzuordnen.
In dieser Situation darf nicht verschwiegen werden, dass die Zusammensetzung der Unterarten der Harzer Luchspopulation Tatsache ist. Dass der durchaus als kräftig zu bezeichnete Bestand der Harzer Individuen alle angrenzenden Lebensräume bis heute sicher erreicht hat und reproduziert!
Auch wenn einzelne überdurchschnittlich kräftige Exemplare Opfer des Straßenverkehrs wurden, ist ihre Anwesenheit und ihr genetischer Einfluss seit dem Jahr 2002 existent und nachgewiesen! Das Internet ist voll von privaten Einspielungen und Begegnungen mit auffällig schwach gezeichneten Luchsen, teilweise großen, vertrauten oder selbstsicher auftretenden Phänotypen. Es lässt sich nach wie vor nachweisen und durch entsprechende Dokumente belegen, dass für die Harzer Population die biologisch stärkeren Individuen (Unterarten) aus Zoos und Gefangenschaft Reproduktionen zusammengestellt wurden. Diese Tatsache sollte unbestritten sein und es wäre ein unverantwortlicher Irrtum, zu glauben, dass eine ursprünglich bodenständige Unterart diesen Einfluss einmal neutralisieren könnte.
Die dargestellte Schlussfolgerung basiert auf computergestützten Modellen, welche die Frage des Zustandes und der Veränderungen des Lebensraumes jedoch nur unzureichend zu antizipieren vermögen. Es wird dabei völlig vergessen, dass die Harzer Individuen die biologisch stärkeren Katzen sind! Hier muss ganz anders entschieden werden!
In der bisherigen Diskussion wurde die Möglichkeit der Ausbreitung der eigentlich einmal bodenständigen Unterart über Tschechien und das Erzgebirge wenig berücksichtigt. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass eine Verbindung zum nahen Thüringer Wald über den westlichen Ausläufer des Erzgebirges eine durchaus vorstellbare Möglichkeit dargestellt hätte. Eine kritische Gegenüberstellung der ADAC-Straßenkarte im geeigneten Maßstab mit der Realität in der gesamten Region führt jedoch zu einer weiteren, zügigen Ernüchterung.
Die Realisierung derartiger Wunschvorstellungen resultiert in der Vorbereitung oder Unterstützung kostenintensiver Projekte, welche von Beginn an auf Computermodellen basieren und sich in beträchtlichem Maße von der Realität unterscheiden.
Diese Entwicklung lässt sich darauf zurückführen, dass die für ähnliche Vorhaben noch zur Verfügung stehenden Lebensräume in ihrer Quantität und Qualität zunehmend von den aktuellen Vorhaben und Veränderungen massiv beeinflusst werden.
Es ist vorgesehen, dass u.a. Gefangenschaftsnachzuchten aus Zoos und ähnlichen Einrichtungen das notwendige Tiermaterial liefern, welches den Projekten zugeführt werden soll. Allerdings reichen die Erfahrungen über die Zucht von Luchsen nicht aus, um aus verhaltenskundlicher Sicht geeignete Exemplare für diese Vorhaben nur zu reproduzieren.
Nur die aktuelle Präsenz von Wildluchsen im Bayerischen Wald eröffnet die Möglichkeit, durch gezielte Maßnahmen den Bestand in angrenzenden Waldgebieten aufzubauen.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass die Kosten dieser Maßnahmen deutlich niedriger ausfallen.
Der noch zur Verfügung stehende Wald ist großflächig krank und rückgängig. (Buchempfehlung zu dieser Thematik: Der Holzweg, Verlag Oekom!) Der Flächenverbrauch einer Industrienation wie Deutschland ist groß! Die Bevölkerungszahlen und die daraus resultierenden Bedürfnisse an den Raum steigen von Jahr zu Jahr an. Ein Vergleich mit anderen Ländern auch unter besonderer Einbeziehung der visionären 900 Exemplare einer Metapopulation für das Industrieland Deutschland sollte für Desillusionierung sorgen:
In ganz Skandinavien, also Norwegen, Schweden und Finnland leben auf einer Fläche von 1.173.964 km2; 21.1 Mill. Menschen mit ca. 1700 Luchsen mehr oder weniger einmütig zusammen.
Beispiel Schweden: Fläche 450.295 km²; 10 Mill. Einwohner; 7,2 Mill. PKW u. 17.658 LKW…
Deutschland: Fläche 357.587 km², 84 Mill. Einwohner; 69,1 Mill. PKW u. 3,74 Mill. LKW…
Die Umsetzung sowie der Vergleich der aufgeführten Beispiele mit der Vision von 900 aktiven Exemplaren für Deutschland sind dem Leser überlassen. Eine weitere Möglichkeit, sich mit der Thematik fundiert auseinanderzusetzen, wäre die Erstellung einer Statistik der auf deutschen Straßen erfassten Wildunfälle mit einer genauen Zusammenstellung der tödlich verunglückten Arten. Eine solche Statistik könnte möglicherweise zusätzliche, erhellende Informationen liefern.
Dies meinen Emil und Kiang
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